Bruck-Möller-Johannsen, Kommentar zum Versicherungsvertragsgesetz und zu den Allgemeinen Versicherungsbedingungen unter Einschluß des Versicherungsvermittlerrechts; Vierter Band: Allgemeine Haftpflichtversicherung, 8. Auflage, Walter de Gruyter & Co, Berlin 1970, 538 S., Leinen.
An Schrifttum zur Allgemeinen Haftpflichtversicherung ist wahrlich kein Mangel, auch Kommentare hierzu gibt es mehrere: die AHB-Kommentare von Oberbach (2 Teile, Berlin 1938 und 1947) und Wussow (6. Aufl., Frankfurt 1970), und der VVG-Kommentar von Prölss-Martin (18. Aufl., München 1970) der außer den §§ 149 – 158 k WG auch die Bestimmungen der Allgemeinen Versicherungsbedingungen erläutert. Der „Johannsen“ stößt also nicht in die berühmte Marktlücke; gleichwohl ist zu erwarten, daß er sich in kurzer Zeit als das Handbuch der Haftpflichtversicherung durchsetzen wird.
Diese Erwartung stützt sich auf die verschiedenen Qualitäten des Buches: Der „Johannsen“ bildet zwar als Band IV einen Teilbeitrag zu der WG-Kommentierung von Bruck-Möller. Er geht aber weit über die Erläuterung der wenigen WG-Vorschriften hinaus, welche die Haftpflichtversicherung nur teilweise erfassen und zudem durch die Bedingungen vielfach ergänzt und abgeändert werden. Johannsen kommentiert auch die wichtigsten parteiauto nomen Bestimmungen, nämlich zur Allgemeinen Haftpflichtversicherung die Allgemeinen und die Besonderen Versicherungsbedingungen, die Risikobeschreibungen und den in der Praxis üblichen, meist auf der Rückseite des Versicherungsantrages oder Versicherungsscheines abgedruckten Erläuterungstext, außerdem zur Vermögensschadenhaftpflichtversicherung die m. W. bisher noch gar nicht literarisch bearbeiteten Allgemeinen Versicherungs bedingungen (AHBVerm).
Aber nicht nur umfangmäßig, sondern auch in der Kommentierungstechnik unterscheidet sich der „Johannsen“ von allen bisherigen Erläuterungsbüchern zum Haftpflichtversicherungsrecht: Oberbach und Wussow sind ausschließlich AHB-Kommentierungen, Prölss ist ein VVG-Kommentar, der in einem Anhang zu den Erläuterungen der WG-Vorschriften auch einige kurze Anmerkungen zu den AHB macht. Beide Kommentierungsarten bergen die Gefahr von Unvollständigkeit, Ungenauigkeit und unrichtiger Schwerpunktsetzung. Johannsen vermeidet diese Nachteile, indem er eine eher lehrbuchartige Darstellung des Haftpflichtversicherungsrechts gibt. Diesem „Lehrbuch“ sind die zuvor genannten Rechtsquellen vorangestellt. Randzahlen neben den Rechtsquellen verweisen auf die jeweiligen Stellen des „Lehrbuchs“, an denen die Bestimmung besprochen oder erwähnt wird, und machen auf diese Weise das Buch zu einem Kommentar. Dieses Verfahren ermöglicht eine problembezogene synoptische Behandlung aller für einen Fragenkreis einschlägigen Bestimmungen. So ist es beispielsweise möglich, das Problem „Ausschluß der Vorsatzschäden“ rechtssystematisch abzuhandeln und gleichzeitig alle diesen Problemkreis betreffenden Bestimmungen, nämlich § 152 VVG, § 4 II Ziff. l S. l und 2 AHB und § 4 Ziff. 5 AHBVerm zu kommentieren (G 219 – 233, S. 438 – 449), ohne daß dabei Verweisungen bei der Kommentierung der einen Vorschrift auf die Kommentierungen der anderen erforderlich wären. Die Vorzüge dieser Methode sind evident.
Das Buch ist in acht Abschnitte gegliedert: Abschnitt A: Rechtsquellen (die eingangs erwähnten Texte), Entwicklung und Bedeutung der Haftpflichtversicherung; Abschnitt B: Begriff und Einteilung der Haftpflichtversicherung: Abschnitt C: Abschluß und Verbriefung des Haftpflichtversicherungs vertrages; Abschnitt D: Dauer des Haftpflichtversicherungsvertrages; Abschnitt E: Rechtspflichten des Haftpflichtversicherungsnehmers; Abschnitt F: Obliegenheiten des Haftpflichtversicherungsnehmers; Abschnitt G: Rechtspflichten des Haftpflichtversicherers; Abschnitt H: Beteiligung Dritter am Haftpflichtversicherungsvertrag. Man könnte darüber diskutieren, ob eine in den Aufbau des Allgemeinen Teils des VVG anlehnende Gliederung dem Benutzer noch leichter verständlich und damit übersichtlicher gewesen wäre und ob man ihr den Vorzug vor diesem mehr von der Vertrags„logik“ ausgehenden Aufbau hätte geben sollen. Festzuhalten ist, daß Johannsen alles unternimmt, um sein Werk auch als Lehrbuch übersichtlich zu gestalten, sieben der Gliederungsübersicht am Anfang des Buches ist jedem Unterabschnitt eine ins einzelne gehende Untergliederung vorangestellt, was auch einem Benutzer, der nicht von den Rechtsquellen und den dort angegebenen verweisenden Randziffern oder vom Stichwortverzeichnis ausgeht, zu einem schnellen Auffinden des Problems verhilft. Das Stichwortverzeichnis ist übrigens — das ist leider keine Selbstverständlichkeit — ausführlich und genau, was auch dem meist eiligen Praktiker, der sich auf der Suche nach einer bestimmten Problemlösung nicht erst in die Systematik des Buches hinein lenken will, den „direkten Zugriff“ auf die ihn interessierenden Informationen ermöglicht.
Ebenso gediegen und handwerklich sauber gearbeitet, wie das Buch in einer äußeren Technik ist, ist es in seinem Inhalt. Hier bleibt kein Problem unbehandelt, hier drückt sich der Autor nicht — wie das leider bei entsprechenden Büchern festzustellen ist — um wichtige, aber vielleicht schwierige Fragen herum. Johannsen bringt stets eine umfassende Problemdarstellung unter erschöpfender Berichterstattung über alle vertretenen Auffassungen und Problemlösungen — bei Gerichtsentscheidungen häufig unter wörtlicher Wiedergabe der entscheidenden Passagen —, die er stets mit einer ausgewogenen eigenen Meinung abschließt.
Daß ich nicht in allen Punkten die Ansichten von Johannsen teile, ergibt sich aus der Natur der Sache. So bin ich weiterhin der in meiner Arbeit „Der Direktanspruch gegen den Haftpflicht Versicherer“ (Karlsruhe 1960) eingehend begründeten Auffassung (S. 15 -17, 45 – 46), daß die Verjährung des Befreiungsanspruchs erst in dem Augenblick beginne, in welchem die unbegründeten Ansprüche des Dritten abgewehrt sind und festgestellt ist, welches die begründeten Schadensersatzforderungen sind, von denen der Versicherer den Versicherungsnehmer zu befreien hat. Damit weiche ich als einziger — [dessen bin ich mir bewußt — von der herrschenden Meinung ab (vgl. die Nachweisungen in meiner Arbeit S. 16, Anm. 66 und bei Johannsen B 48, S. 81 -82], nachdem Prölss, der bis zur 10. Auflage seines VVG-Kommentars eine im Ergebnis gleiche Ansicht vertreten hatte (§ 149 Anm. l, S. 413), auf die Linie der herrschenden Meinung eingeschwenkt ist. Man könnte deshalb die Frage aufwerfen, ob es aus Gründen der Rechtseinheitlichkeit und -sicherheit vertretbar sei, gegen die herrschende Meinung anzukämpfen. Ich bin allerdings der Auffassung, daß nur ein getrennter Beginn von Rechtsschutzanspruch und Befreiungsanspruch zu einem vernünftigen Ergebnis führt, das den Interessen aller Beteiligten, insbesondere denen des Versicherungsnehmers und des Geschädigten gerecht wird (vgl. hierzu „Der Direktanspruch“ S. 45 – 46). Zwar hat das Pflichtversicherungsgesetz, welches das Hauptanwendungsgebiet, die Kraftfahrtversicherung, gesondert regelt, das Problem entschärft. Insofern bin ich für die Kritik von Deiters (ZVersWiss 1967, S. 329 – 337) dankbar, dessen Ausführungen mich zwar nicht vom Formaljuristischen her zu überzeugen vermögen, dessen Ergebnis ich aber für die von der Interessenlage her gerechteste Lösung halte und daher — insoweit unter Aufgabe meiner früheren Ansicht (a.a.O. S. 146) — befürworten möchte.
In allen anderen Bereichen der Haftpflichtversicherung, d.h. soweit die Haftpflichtversicherung nicht Kraftfahrthaftpflichtversicherung ist, bleibt die Verjährungsfrage m. E. weiterhin unbefriedigend gelöst, wenn man der herrschenden Meinung folgt. Das zeigt besonders deutlich das jüngst veröffentlichte Urteil des BGH (v. 20. I. 71 VersR 1971, S. 333 – 334), welches noch zum vor dem 1. X. 65 für die Kfz-Haftpflichtversicherung geltenden Recht ergangen ist und die entsprechende Anwendung von § 158 c Abs. l VVG bei Verjährung des Versicherungsanspruchs bejaht. Besonders bemerkenswert halte ich in dieser Entscheidung die Ausführungen (a.a.O. S. 334), wonach es „sehr zweifelhaft“ sei, ob der Geschädigte ohne vorherige Pfändung des Versiche rungsanspruchs durch eine Feststellungsklage die Verjährung dieses Anspruchs unterbrechen könne, weil dies nur dem Berechtigten, d. h. dem Anspruchsinhaber möglich sei. Nimmt man aber dem Geschädigten die Möglichkeit der Feststellungsklage, so kann er die Verjährung des Versicherungs anspruchs nicht verhindern; bei schwieriger, längere Zeit erfordernder Klärung der Haftpflichtfrage ist der Schutz des Geschädigten durch die Haftpflichtversicherung gefährdet. Diese Gefahr besteht dagegen nicht, wenn die Verjährung des Befreiungsanspruchs nicht vor Feststellung des Haftpflichtanspruchs als begründet beginnen kann.
Die herrschende Meinung basiert in ihrem wesentlichen Teil auf einer mangelhaften Abgrenzung von Rechtschutz- und Befreiungsleistung, was wie derum darauf zurückgeführt werden kann, daß zwischen begründeten und unbegründeten Haftpflichtansprüchen des Geschädigten nicht sauber unterschieden wird. Eine Methode, die eine solche saubere Unterscheidung erlaubt, habe ich in meiner Arbeit (S. 4 – 9) unter Ablehnung der Theorien Beislers (VersArch 1357 S. 257 [S. 286 ff.]) vorgeschlagen. Ganz abgesehen davon, daß Beislers Theorien in sich widersprüchlich sind, wie ich glaube nachgewiesen zu haben (a.a.O. S. 6), führen sie zu einem Ergebnis in der Verjährungsfrage, welches m. E. unrichtig ist und vermieden werden kann, wenn man das von mir vorgeschlagene Einteilungsschema zugrunde gelegt. Das verkennt leider auch Johannsen, der mir „Überbetonung der begrifflichen Einteilung“ und „formales Rechtsdenken, das zur Reinhaltung eines bestimmten gedanklichen Begriffs systems die Rechtswirklichkeit mißachtet“ vorwirft (B 7, S. 44). Mir war es dabei allerdings nicht um ein Spiel mit formaljuristischen Begriffen zu tun, sondern um eine interessengerechtere Lösung der Verjährungsfrage, wobei es mir nicht nachteilig zu sein deucht, wenn sich das vorgeschlagene Ergebnis auch formaljuristisch richtig begründen läßt.
Es entspricht dem Charakter eines so profiliert geschriebenen Buches, wie es der „Johannsen“ ist, in zahlreichen Fragen eine von der herrschenden Meinung abweichende Auffassung zu vertreten. So beispielsweise zum Trennungsprinzip, welches Johannsen nicht als „begriffsnotwendiges Wesensmerk mal der Haftpflichtversicherung“ ansieht (B 53, S. 86), sondern als „zweckmäßig erkanntes Schema, das dem lebenden Bedingungsrecht zugrunde liegt“. Der Autor führt hierfür an, daß der Gesetzgeber diesen Grundsatz durch die Einführung des Direktanspruchs in der Kraftfahrthaftpflichtversicherung mit einem Federstrich aufgegeben habe. Diese Schlußfolgerung möchte ich in Frage stellen. Die Schaffung des Direktanspruchs hat eine eigene, soziale Begründung (vgl. Der Direktanspruch S. 142 – 143, 111 – 113). die rechtsdogmatische Folgerungen auf die Grundsätze der allgemeinen Haftpflichtversicherung nicht nur nicht zuläßt, sondern sogar verbietet.
Es ist ein besonderer Wert des Buches, zu einer erneuten Durchdenkung des Haftpflichtversicherungsrechtes herauszufordern. Es ist im Rahmen dieser Besprechung nicht möglich, alle diskussionswerten Fragen auch nur zu erwähnen. Besonders nennen möchte ich hier nur die gesondert zu erörternden wichtigen Ausführungen zur augenblicklichen Kernfrage der Haftpflichtversicherung, zur Produkthaftpflichtversicherung (G 250 – 261, S. 451 – 474). Die in diesem Zusammenhang wichtige Frage, ob Haftpflichtansprüche wegen Fehlens zugesicherter Eigenschaften in den konventionellen Deckungsbereich der Haftpflichtversicherung fallen (Probleme des § 4 11 AHB), bejaht Johannsen (G 159, S. 392 f.), soweit diese Ansprüche nicht das Erfüllungsinteresse selbst betreffen (ebenso Honig VersR 1970, S. 975 [981 f.]) und jüngst Groh ZfV 1971 S. 215. Ich halte diese Ansicht für nicht zutreffend, ohne hier jedoch mit der notwendigen Ausführlichkeit zu dieser vielschichtigen, nicht nur rechtlich sondern auch versicherungstechnisch zu beurteilenden Frage Stellung nehmen zu können.
So leistet der „Johannsen“ auch einen wichtigen Beitrag für die Arbeiten zur Reform der AHB, zu deren Neufassung der Autor soeben in einer gesonderten Veröffentlichung, sozusagen ein „Nebenprodukt“ des Kommentars, einige interessante Anregungen und Vorschläge unterbreitet hat (ZVersWiss 1971, S. 51 – 67). Mancherlei weitere Anregungen enthält der Kommentar.
Dem Bruck-Möller-Johannsen viel Erfolg zu wünschen, erübrigt sich: Der Erfolg dieses hervorragenden Werkes beginnt sich bereits abzuzeichnen.
Dr. Michael Müller-Stüler, Aachen