Nach Ansicht von Werner Schirmer – Versicherungsanalyst der LBBW – besteht das Risiko, dass Schadenersatz-Forderungen wegen extrem langlebiger per- und polyfluorierter Chemikalien (PFAS) zu einer größeren finanziellen Belastung als der weltweite Asbest-Skandal Mitte des vergangenen Jahrhunderts werden könnten.
Fluorpolymere, bekannt für ihre Resistenz gegen Wasser, Fett und Schmutz sowie ihre chemische und thermische Stabilität, finden vielfältige Anwendung in Produkten wie Kosmetik, Kochutensilien, Papierveredelungen, Textilien sowie in Wachsen für Autos und Skier. Ihre Langlebigkeit hat ihnen den Beinamen „Ewigkeitschemikalien“ eingebracht, wobei einige Vertreter dieser Klasse, die über 12.000 Varianten umfasst, im Verdacht stehen, schwerwiegende oder gar tödliche Erkrankungen auszulösen. Die schwedische Umweltorganisation ChemSec schätzt die ökonomischen Schäden durch Umwelt- und Gesundheitsbelastungen auf globaler Ebene bis 2050 auf 141 Billionen US-Dollar, wobei Kosten für die Säuberung existierender PFAS-Kontaminationen oder Auswirkungen wie gesunkene Lebenserwartung, Wertverlust von Grundstücken und Einflüsse auf die Tierwelt nicht miteinberechnet sind.
Die Schätzungen der gesundheitlichen Kosten variieren, wobei der Nordische Ministerrat 2019 die finanziellen Belastungen für den Europäischen Wirtschaftsraum auf 52 bis 84 Milliarden Euro bezifferte, eine Last, die hauptsächlich von den Sozialversicherungssystemen getragen wird, aber auch die private Versicherungsbranche über Lebens-, Kranken- und Berufsunfähigkeitsversicherungen tangiert.
Die Kosten könnten für Industrie- und Rückversicherer mit Geschäftstätigkeit in den USA nach Einschätzung eines Analysten noch weit höher ausfallen. Er hebt Haftpflichtversicherungen für Unternehmen sowie bestimmte Versicherungssparten hervor und betont, dass das Risiko, dass PFAS höhere Schadensansprüche als Asbest nach sich zieht, nicht zu unterschätzen ist. Trotz Umweltausschlussklauseln in einigen US-Versicherungspolicen bleibt die Prognose ungewiss.
Die Branche steht erst am Anfang der juristischen Aufarbeitung von PFAS-Schäden, doch die Anzahl der Klagen steigt. Besonders bemerkenswert ist das Urteil gegen 3M in den USA, das das Unternehmen zur Zahlung von über 10 Milliarden Dollar für langjährige Wasserverschmutzungen verpflichtet.
Trotz großer Unsicherheiten bei den Prognosen bleibt das Risiko erheblich, dass PFAS-Schäden die von Asbest übertreffen könnten. Es wird erwartet, dass europäische Versicherer zukünftig PFAS in ihren Policen ausschließen werden, ähnlich wie es in den USA bereits üblich ist.
In Europa gab es bisher nur wenige Klagen wegen PFAS-Schäden, wobei der Fall von 3M in Belgien mit einer Zahlung von 571 Millionen Euro für Sanierungskosten heraussticht. Ein umfassender PFAS-Ausschluss in Versicherungspolicen gilt als schwierig, eine signifikante Änderung in den Verträgen wird erst erwartet, wenn ein EU-weites Verbot bestimmter Kunststoffe in Kraft tritt oder eine schwere Krankheit eindeutig auf PFAS zurückgeführt werden kann.
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Oliver Meixner
Rechtsanwalt | Partner
Fachanwalt für Versicherungsrecht