- Jedem Kfz-Haftpflichtversicherer, von dem nach einem Verkehrsunfall Zahlung verlangt wird, ist eine angemessene Prüfungsfrist zuzubilligen, vor deren Ablauf eine Klage nicht im Sinne des § 93 ZPO veranlasst ist. Diese liegt üblicherweise bei vier bis sechs Wochen.
- Dem Kfz-Haftpflichtversicherer steht das Recht zu, auch in einfachen Fällen Einsicht in die Ermittlungsakte zu nehmen, um den genauen Unfallhergang abschätzen zu können sowie die Frage zu klären, in welchem Umfang ihm gegenüber berechtigte Ansprüche bestehen.
In einem Verfahren vor dem OLG Celle ging es um einige Restpositionen aus einem Verkehrsunfall.
Der Unfall ereignete sich am 12.04.2018. Am 17.04.2018 lag der Klägerin ein von ihr in Auftrag gegebenes Sachverständigengutachten vor. Mit Schreiben vom 19.04.2019 haben die jetzigen Prozessbevollmächtigten dieses Gutachten an die K-Versicherung übersandt. Die Beklagte erklärte darauf, dass sie die Polizeiakten oder die polizeilichen Notizen einsehen müsse. Die Prozessbevollmächtigten der Klägerin hatten dazu erklärt, dass sie die Tagebuchnummer der Polizei nicht kennen. In der Folgezeit wurde der Klägervertreter um Übersendung einer Vollmacht gebeten. Dies geschah mit Schreiben vom 07.05.2018. Als er die Vollmacht am 07.05.2018 übersandte, kündigte er an, mit Ablauf des 20.05.2018 die Ansprüche gerichtlich durchsetzen zu wollen. Am 30.05.2018 teilte die K-Versicherung mit, dass ihr die polizeilichen Ermittlungsakten noch nicht vorliegen und dass eine Zeugin befragt worden sei. Die Klägerin erhob ohne weitere Korrespondenz Klage, die auf den 22.05.2018 datiert war, beim Gericht aber erst am 19.06.2018 einging. Der Beklagten wurde die Klage am 27.06.2018 zugestellt und die Verteidigungsanzeige wurde von der Beklagten dadurch gewahrt, dass nur bezüglich eines Restes Klageabweisung beantragt wurde, im Übrigen aber Teilanerkenntnis erfolgte und auch eine entsprechende Zahlung durchgeführt wurde. Die Zahlung erfolgte so am 03.07.2018. Die Frist zur Verteidigungsanzeige wäre am 11.07.2018 abgelaufen.
Das Gericht stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 93 ZPO erfüllt seien. Danach trägt der Kläger die Prozesskosten, wenn der Beklagte nicht durch sein Verhalten zur Erhebung der Klage Veranlassung gegeben hat und der Beklagte den Anspruch sofort anerkennt. Veranlassung zur Klageerhebung hat der Beklagte gegeben, wenn sein Verhalten vor Prozessbeginn ohne Rücksicht auf Verschulden und materielle Rechtslage gegenüber dem Kläger so war, dass dieser annehmen musste, er werde ohne Klage nicht zu seinem Recht kommen [Zöller, Zivilprozessordnung, 32. Auflage, Bearbeiter Herget, § 93 Rn. 3 m. w. N.]
Zum Zeitpunkt der Einreichung der Klageschrift wusste die Klägerin aus dem Schreiben vom 30. Mai 2018, dass die Beklagte die Angelegenheit noch überprüfen wollte. Wenige Tage nach Zustellung der Klage und noch innerhalb der Zweiwochenfrist zur Abgabe der Verteidigungserklärung, die bis zum 11. Juli 2018 lief, hat die Beklagte 10.073,78 EUR gezahlt und die Beklagten haben prozessual ein Teilanerkenntnis erklärt. Damit sind die Voraussetzungen des § 93 ZPO erfüllt.
Es ist nicht zu beanstanden, dass die Beklagte nach Unfallanzeige noch den Inhalt der polizeilichen Unfallaufnahme und den Stand des Ermittlungsverfahrens prüfen wollte. Jedem Kfz-Haftpflichtversicherer, von dem nach einem Verkehrsunfall Zahlung verlangt wird, ist eine angemessene Prüfungsfrist zuzubilligen, vor deren Ablauf eine Klage nicht im Sinne des § 93 ZPO veranlasst ist [Zöller-Herget, § 93 Rn. 6 – Stichwort: „Haftpflichtversicherung“]. Diese liegt üblicherweise bei vier bis sechs Wochen [OLG Düsseldorf, NJW-RR 2008, 114; OLG Rostock, MRD 2001, 935]. Eine solche 6-wöchige Frist lief ab Kenntnis der Beklagten aufgrund der Unfallanzeige des Klägervertreters vom 16. April 2018 – bei einem üblichen dreitägigen Postlauf bis zum 19. April 2018 – bis zum 30. Mai 2018. Die Annahme von 6 Wochen erscheinen vorliegend gerechtfertigt, weil ein erheblicher Fahrzeugschaden geltend gemacht worden ist und in den Mai 2018 drei Feiertage fielen (1. Maifeiertag, Christi Himmelfahrt am 10. Mai und Pfingstmontag am 21. Mai), die üblicherweise dazu führen, dass Sachbearbeiter einer Versicherung Urlaub nehmen und sich die Prüfungszeit verlängert. Überdies hatte der Klägervertreter die Tagebuchnummer der Unfallaufnahme nicht mitteilen können, sodass die Beklagte zu 2) diesbezüglich eigene Ermittlungen anstellen musste. Mit Schreiben vom 30. Mai 2018, also fristgerecht, hat die Beklagte den Klägervertreter darauf hingewiesen, dass ihr die Prüfung der Ermittlungsakte bislang nicht möglich gewesen sei. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Klägervertreter die bereits am 22. Mai 2018 gefertigte Klageschrift noch nicht bei Gericht eingereicht. Es wäre ein Leichtes und der Klägerin auch zumutbar gewesen, die Klageschrift weiter zurückzuhalten und der Beklagten eine letzte Frist zur Erklärung ihrer Einstandspflicht zu setzen. Für die Klägerin stand deshalb am 19. Juni 2018 – dem Tag der Klageeinreichung beim Landgericht Hannover – nicht sicher fest, dass die Beklagten keinerlei Schadensersatz leisten würden.
Folglich haben die Beklagten die Klageerhebung nicht veranlasst. Der Beklagte war das Recht zuzugestehen, auch in einfach gelagerten Fällen Einsicht in die Ermittlungsakte zu nehmen, um den genauen Unfallhergang abschätzen zu können sowie die Frage zu klären, in welchem Umfang die Klägerin berechtigte Ansprüche geltend macht.
OLG Celle, Urteil vom 23.07.2019 – 14 U 180/18
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Oliver Meixner
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Fachanwalt für Versicherungsrecht