Mit Urteil vom 16.6.2011 hat die Erste Kammer des EuGH in den verbundenen Verfahren C-65/09 und C-87/09 zugunsten der Käufer von Verbrauchsgütern entschieden, dass der Verkäufer im Rahmen seiner Gewährleistungspflicht auch die Aus- und Wiedereinbaukosten eines bereits eingebauten Kaufgegenstandes zu tragen hat.
Die Fälle:
C-65/09 – (BGH)
Kunde W erwirbt vom Händler Fliesen zum Preis von 1.382,27 Euro. Während des Verlegens werden Mängel der Oberfläche festgestellt, die nicht mehr beseitigt werden können, als durch kompletten Austausch mit einem Aufwand von 5.830,57 Euro.
C-87/09 – (AG Schorndorf)
Kundin P erwirbt über den Internethandel M eine neue Spülmaschine zum Preis von 367 Euro zzgl. Nachnahme zur Anlieferung an die Haustür. Nach veranlasster Aufstellung und Montage in der Wohnung zeigt sich ein nicht zu beseitigender Mangel, der durch Austausch beseitigt werden soll. P verlangt von M auch Ausbau und Montageaufwand.
Die Umsetzung der Europäischen Richtlinie zum Verbrauchsgüterkauf (Richtl. 1999/44/EG) soll ein hohes Verbraucherschutzniveau gewährleisten. Der Verbraucher solle umfassenden und wirksamen Schutz erhalten, indem der Verkäufer verschuldensunabhängig für die Folgen der Schlechterfüllung des Vertrages einzustehen habe, durch unentgeltlich innerhalb angemessener Frist und ohne erhebliche Unannehmlichkeiten für den Käufer zu leistender Nachbesserung oder Nachlieferung, bzw. entsprechende Kostentragung. Wesentlicher Gedanke des Verbraucherschutzes sei, dass der Käufer bei Vorliegen von Mängeln den Anspruch haben solle, so gestellt zu werden, als sei von vornherein ordnungsgemäß geliefert worden. Vor diesem Hintergrund könne die kaufrechtliche Gewährleistung jedenfalls für Fälle beiderseits fehlenden Verschuldens der Vertragsparteien nur eine ohne Mehrkosten für den Verbraucher vorzunehmende Reparatur oder einen Austausch des bereits eingebauten Kaufgegenstandes vorsehen. Demnach müsse der Verkäufer in diesen Fällen ggf. nicht nur die Kosten der Ersatzlieferung, sondern auch die Kosten des Ausbaus der mangelhaften und des Wiedereinbaus der mangelfreien Sache tragen.
In gleicher Weise könne der Verkäufer Rückgriff in der Vertragskette nehmen, so dass dadurch eine Kompensation entstehe.
Die Richtlinie gewähre dem Verkäufer bei relativer Unverhältnismäßigkeit (also im Vergleich zu anderen Alternativen der Nacherfüllung) das Recht der Verweigerung dieser Maßnahme. Bei absoluter Unverhältnismäßigkeit (also bei Unmöglichkeit anderer Alternativen) stehe dem Verkäufer ein solches Verweigerungsrecht nicht zu. Allerdings sei der – neben der möglichen Nacherfüllung bestehende – Anspruch des Käufers auf einen nach dem Wert des vertragsgemäßen Kaufgegenstandes und der Bedeutung der Vertragswidrigkeit – angemessenen Betrag beschränkt, soweit dadurch nicht der Kostenerstattungsanspruch des Käufers bei gutgläubigem, bestimmungsgemäßem Einbau vor Auftreten des Mangels ausgehöhlt werde. Im Falle der Herabsetzung müsse dem Käufer daneben alternativ Nacherfüllung, Minderung oder Rücktritt zugestanden werden.
Damit folgte das Gericht nicht dem Antrag des Generalanwaltes (v. 18.5.2010) und der Auslegung des BGH (NJW 2009, 1661 – Fliesen-Entscheidung -; NJW 2008, 2837 – Parkettstäbe-Entscheidung -), sondern erweitert den bereits in der „Quelle“-Entscheidung (EuGH BeckRS 2008, 70446) dargelegten Grundsatz der Unzulässigkeit der Kostenerhebung seitens des Verkäufers im Zusammenhang mit der Gewährleistung (dort: unzulässige Anrechnung eines Nutzungsentgeltes).
Bleibt es außerhalb des Verbrauchsgüterkaufes bei den Auslegungsgrundsätzen des BGH, fallen die Kostentragungsregeln weiter auseinander. Im gewerblichen Kaufrecht bliebe es bei den Verweigerungsmöglichkeiten für relative und absolute Unverhältnismäßigkeit und der Anknüpfung der Gewährleistung an den Vertragsinhalt, während der Käufer beim Verbrauchsgüterkauf das Recht auf die einzig verbleibende Nacherfüllungsalternative behielte und weitgehend von Nebenkosten freigestellt werden müsste.
Es bleibt abzuwarten, in welchem Maße der EuGH eine standardisierte Berechnung der Betragskürzung zulässt. Die unterlassene Bewertung entsprechender Berechnungen des BGH und fehlende Konkretisierung von Anknüpfungstatsachen deutet eher darauf hin, dass der verbleibende Spielraum zunächst nach nationalem Recht ausgeschöpft werden soll.
Mit der Entscheidung werden nicht nur Verbraucher, sondern auch Handwerker zufrieden sein, erleichtert sie ihnen doch Abwicklung und Rückgriff bei mangelhaften Produkten. Zugleich wird für diese Fälle der Versicherungsschutz – als Leistung auf gesetzlicher Grundlage – klargestellt.
Eine neue Risikobewertung wird der Handel vornehmen müssen, dem Ansprüche in neuer Größenordnung drohen, aber auch die in der weiteren Liefer- und Herstellerkette befindlichen Firmen. Das Thema „Erweiterte Produktedeckung“ wird damit sicher belebt.
EuGH Urteil in den verbundenen Rechtssachen vom 16.Juni 2011