Wird ein kaskoversichertes Fahrzeug, welches bei einem Unfall beschädigt oder zerstört wurde, nicht, nicht vollständig oder nicht fachgerecht repariert oder kann der Versicherungsnehmer nicht durch eine Rechnung die vollständige Reparatur nachweisen, so ist, wenn sich der Versicherungsnehmer entschließt, das beschädigte oder zerstörte Fahrzeug nicht zu veräußern, bei der fiktiven Bestimmung des Restwertes des Fahrzeugs lediglich der regionale Markt für den Aufkauf solcher Fahrzeuge am Sitz des Versicherungsnehmers in den Blick zu nehmen. Diesem amtlichen Leitsatz des BGH liegt der folgenden Sachverhalt zugrunde :
Die Klägerin begehrte von der Beklagten weitere Leistungen aus einer Kfz-Kaskoversicherung. Die Beklagte hatte zu dem versicherten Fahrzeug, das bei einem Unfall beschädigt wurde, ein Gutachten eingeholt. Dieses gab den Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs mit 10.500 EUR, den Restwert auf der Basis eines überregionalen Marktes mit 5.799 EUR und die Reparaturkosten mit 9.137,53 EUR netto oder 10.873,66 EUR brutto an. Die Klägerin ließ das Fahrzeug in Eigenregie instand setzen, eine Rechnung darüber existiert nicht. Die Beklagte zahlte an die Klägerin 4.401 EUR aus (Wiederbeschaffungswert abzüglich Restwert und abzüglich Selbstbeteiligung).
Die Klägerin war mit dem von der Beklagten angenommenen Restwert nicht einverstanden, er sei zu hoch angesetzt worden.
Der BGH meint nun, dass die Frage, ob für die Ermittlung des Restwertes eines Fahrzeugs lediglich der regionale Markt am Sitz des Versicherungsnehmers oder auch der überregionale Markt, insbesondere der Onlinehandel, in den Blick zu nehmen sei, eine Rechtsfrage sei, die von einem Sachverständigen nicht kraft dessen besonderer Sachkunde beantwortet werden könne. Da die Klägerin die Reparatur nicht durch eine Rechnung belegen könne, sei die Versicherungsleistung nach A.2.5.2.1 b AKB unabhängig davon, ob ein Totalschaden vorliege, auf die Höhe des um den Restwert verminderten Wiederbeschaffungswertes des Fahrzeugs begrenzt. Der Wiederbeschaffungswert stehe außer Streit. Entscheidend sei somit die Bestimmung des Restwertes. Wenn der Versicherungsnehmer das Fahrzeug nicht veräußere, sei dieser fiktiv durch Auslegung der AKB zu ermitteln.
Nach A.2.5.1.7 AKB sei der Restwert der Veräußerungswert des Kfz im beschädigten oder zerstörten Zustand. Dem Zusammenhang mit A.2.5.2.1 b AKB sei zu entnehmen, dass die Entschädigung dem Versicherungsnehmer die Möglichkeit eröffnen solle, anstelle des beschädigten Kfz ein Fahrzeug gleichen Wiederbeschaffungswertes zu erwerben und dass er dafür auch den möglichen Erlös aus einem Verkauf des beschädigten Fahrzeugs einsetzen müsse, um den sich deshalb der Wiederbeschaffungswert vermindere. Dabei habe der Versicherer ein anerkennenswertes Interesse daran, im Fall eines tatsächlichen Verkaufs des Kfz etwa mittels Weisungen Einfluss auf den Verkaufserlös zu nehmen. Dabei müsse der Versicherungsnehmer auch hinnehmen, wenn etwa beim Verkauf an einen Aufkäufer in größerer Entfernung vom Wohnort des Versicherungsnehmers besondere Regelungen über die Tragung der Transportkosten zu treffen sind, der Versicherungsnehmer sich nur eingeschränkt über die Seriosität des Aufkäufers informieren kann und sich ggf. Auseinandersetzungen um die Abwicklung des Kaufvertrages schwieriger gestalten können.
Der Versicherungsnehmer könne aber auch erkennen, dass es seinen Interessen widerstreite, im Fall eines nur fiktiven Verkaufs eine solche Unterstützung oder solche Weisungen durch den Versicherer lediglich zu fingieren und/oder den zu befragenden Markt räumlich auszuweiten. Denn dies könne lediglich dazu führen, dass sich durch die theoretische Erhöhung des Verkaufspreises die Versicherungsleistung vermindere, ohne dass der Versicherer hierzu durch konkrete Unterstützungshandlungen beitrüge und dem Versicherungsnehmer ein realer Mehrgewinn aus dem fingierten Verkauf entstehen könne. Da hier keine reale Veräußerung erfolge, berge die bloße Unterstellung von Weisungen und Unterstützung des Versicherers die Gefahr, dass der Restwert ohne ausreichende tatsächliche Grundlage lediglich rechnerisch erhöht und die Versicherungsleistung geschmälert werde. Dasselbe gelte für die lediglich fiktive Berücksichtigung räumlich entfernter Kaufanbieter, insbesondere wenn – wie im Streitfall in dem von der Beklagten eingeholten Gutachten – offenbleibe, wie sich der Transport des Kfz gestalte und wer die Transportkosten getragen hätte. Die AKB böten keinerlei Anhalt dafür, wo beim fingierten Verkauf die räumlichen Grenzen einer solchen Marktbetrachtung liegen sollen und ob der Versicherungsnehmer etwa auch gehalten wäre, Angebote aus dem Ausland in Betracht zu ziehen.
Mangels detaillierter Regelung in den AKB dürfe der Versicherungsnehmer insofern auch seine eigenen Interessen berücksichtigen, ohne dass es eines Rückgriffs auf die Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB bedürfe. Somit sei der Restwert danach zu bestimmen, wie ein wirtschaftlich vernünftig handelnder Betroffener in seiner Lage ohne Hilfe des Versicherers das Kfz veräußert hätte. Mangels konkreter, abweichender Regelung in den AKB sei es daher für den Versicherungsnehmer nicht zumutbar, einen Kaufvertrag mit einem ihm unbekannten Händler unter Inkaufnahme hoher Risiken abzuschließen. Sein Interesse gehe vielmehr dahin, das Kfz ohne großen logistischen Aufwand und Risiken zu veräußern.
BGH, Urteil vom 14.04.2021 – IV ZR 105/20
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